Nach Wales fahren und das land kennen lernen - das kann jeder. Was man normalerweise nicht kennenlernt, ist das echte walisisch-englische landhaus, ein landedelsitz oder edel- landsitz. My home is my castle, nicht wahr.
Für normaltouristen ist der seit dreihundert jahren gepflegte rasen nicht bestimmt. Sie können auch nicht zusehen, wenn his Lordship sich abends in frack oder smoking wirft, nur um mit seiner einen lebenslänglichen gattin (oder auch nur mit sich allein) zu dinieren. So was zeigt höchstens der film.
Ich wollte diese klischees in der wirklichkeit sehen und verschaffte mir einen empfehlungsbrief. Der schreiber dieses briefes - nebenbei, es war mein mann - sagte: "Da, für Clough Williams-Ellis, ich bin seit vierzig jahren mit ihm befreundet. Ich habe ihn seit 1938 nicht gesehen. Er war schon damals recht alt. Aber wer weiß, vielleicht lebt er noch." Ich fuhr hin.
PLAS BRONDANW
Das städtchen in der grafschaft Merionethshire heißt Penrhyndeudraeth. Alle übrigen wörter in Wales sind komplizierter. Sir Clough wohnte irgendwo ein paar meilen dahinter in einem naturschutzpark mit ein paar schneebedeckten
PLAS BRONDANW - SIR CLOUGHS FAMILIENSITZ WAR BAULICH STARK
HERUNTERGEKOMMEN, ALS ER IHN 1908 NEU GESTALTETE
(ABB: WIKIPEDIA)
bergen, wilden meeresküsten und binsenbewachsenen hochmooren. Das meiste davon gehört ihm. Er hat naturschutzparks gern, darum kauft er immer noch ein paar berge dazu. Er ist der nachfahr von Gruffydd ap Cynan, King of North Wales. Der regierte das land im 12. jahrhundert. Jetzt ist das mit dem regieren schwieriger, es sei denn, man kauft sich die gegend. Dazu kommt der englische grundsatz, dass ein cottage auf dem land erst richtig freude macht, wenn alle wälder und wiesen drumherum einem gehören.
Es gab ihn tatsächlich, stellte sich heraus. Er war persönlich am telefon. "No journalists", murrte er. Aber ich erzählte von meinem brief und von meinem mann. Er sagte: "Was, der lebt noch? Und eine frau hat er auch schon wieder? Kommen Sie sofort zum tee, half past four." Da war ein grünes holztor in der hohen hecke. Ich läutete. Ein hochgewachsener mann öfinete, alt, sehr alt - oder auch nicht sehr alt, so genau war das nicht zu sehen. Er trug knallgelbe kniestrümpfe, dazu eine joppe, die aussah, als dürften katzen daran täglich ihre krallen schärfen. Zerfetzt ist ein hässliches wort vielleicht, aber diesem gelbstrümpfigen mann stand das zerfetzte gut.
Plas Brondanw in Carreg Llanfrothen, Gwynedd, Nord-Wales, war der familiensitz von Clough Williams-Ellis, erbauer des italienisch anmutenden ortes Portmeirion. Plas Brondanw liegt an der straße zu dem winzigen dorf Croesor und dem bekannten Snowdonia-berg namens Cnicht innerhalb des Snowdonia Nationalparks.
Das haus wurde 1550 von John ap Hywel erbaut, ein weiteres mitglied der famile, William Williams, nahm 1660 verschiedene veränderung vor. Die familiennamen Williams und Ellis kamen 1807 zusammen, als Reverend John Ellis Jane Bulgin heiratete, die erbin der Williams-liegenschaft.
Clough Williams-Ellis erbte Plas Brondanw von seinem vater 1908, als er 25 jahre alt war, in einem heruntergekommenen zustand und begann mit der restaurierung des hauses und der gärten. 1951 wurde das anwesen durch feuer schwer beschädigt. An dieses ereignis und die umgehende wiederherstellung des eigentums erinnert eine flammende urnenskulptur oberhalb eines wasserfalls. Im Dezember 1953 war die wiederherstellung abgeschlossen.
Jenseits der straße, aber noch zur immobilie Plas Brondanw gehörend, baute Williams-Ellis eine scheinburg, "Folly Castle" genannt. Auf einer tafel erfährt man, dass die burg "ein hochzeitsgeschenk von 1915 an Clough Williams-Ellis und Amabel Strachey durch die Welsh Guards war." Sie steht auf einem kleinen hügel und erlaubt einen guten ausblick in die gegend. In dieser scheinburg entstanden aufnahmen für den film THE INN OF THE SIXTH HAPPINESS [anm.: mit Ingrid Bergmann und Curd Jürgens] und den DOCTOR WHO-film "The Five Doctors".
Aus dem englischen Wikipedia-artikel (stand: Okt. 2016); übersetzung: Arno Baumgärtel |
Er war kein butler, kein diener. Wer so aussieht, ist der hausherr persönlich.
"How is Robert?" fragte er, "what a curious car. Is that a Citroën? Terrible. Come in." Da stapfle er schon vor mir her, den platten-belegten weg entlang zum haus. Rechts und links war tatsächlich dieser rasen, den man nirgendwo sonst nachmachen kann. Und da war dieses landhaus, gefügt aus dicken natursteinen vom nahen steinbruch, der wahrscheinlich auch Sir Clough gehört. Er führte mich ins haus und brüllte nach seiner frau Amabel. Er schrie: "Robert hat schon wieder geheiratet, was sagst du dazu? Er muss mindestens 85 sein, und das ist nun die zehnte frau von ihm, die ich kennenlerne." Er strahlte mich an. "Ist er wirklich erst 85? Ich werde gerade 90. Die Queen hat sich angesagt zu meinem geburtstag. Wollen Sie nicht auch kommen.?" Mir verschlug es ein wenig den atem.
Er kauerte sich elastisch auf den boden und stocherte gelbstrümpfig im kamin herum. Mich fror erbärmlich - jedenfalls mein rücken fror. Der kamin zog gut, aber hinten standen die fenster offen, um fresh air hereinzulassen. Es war März und höchstens fünf grad plus. Auch im zimmer herrschten in den winkeln fünf grad plus. An der decke hingen zwei trompetenartige - nennt man so etwas fanfaren? Also das, womit der türmer freund oder feind ankündigt. Goldbestickte wimpel hingen an ihnen, sturmzerfetzt - in welcher schlacht? Bestimmt saßen gefrorene töne in ihnen, wie bei weiland Münchhausen. Sir Clough sagte: "I'll show you the garden."
Diesen garten garten zu nennen, war eines jener britischen understatements. Ein park, der sich in die karge walisische berglandschafl verlor, aher hier war nichts karg. Was sich darbot, war eine kurios genialische mischung aus italienisch-französisch-englischer gartenarchitektur. Sir Clough ist nicht bloß ein landedelmann, sondern im hauptberuf architekt. Und noch hauptberuflicher ist er romantiker.
Da gab es rosenrondelle, in denen amouröse barockputten spielen. Und war das eine zypressengruppe? Wächst so was am Nordatlantik? "It just looks like Cypresses", sagte Sir Clough, "I like Italy." Es waren nordische nadelbäume - seit jahrzehnten gezwungen, wie zypressen auszusehen. In einer grotte steht das bronzene reiterstandhild Peters des Großen. Es ist echt. "I brought it from Petersburg, some years ago." Some years sind gewiss über ein halbes jahrhundert. Wahrscheinlich wird man deshalb so alt hier. Und nun erkannte ich auch den grund für den abenteuerlichen aufzug meines gastgebers. Er kriecht stundenlang durch brombeergebüsche und rosenhecken. Hier sägt er einen ast ab, dort schnipselt er an einer taxushecke. Auch taxus ist just like Italy.
Hinter diesem garten erhebt sich das wilde gebirge, die walisischen miniaturalpen. Der Snowdon ist im April mit neuschnee bedeckt, drohende wolken ballen sich um den gipfel. "Gehört der Snowdon auch Ihnen, Sir Clough?" - eine unenglisch persönliche frage. Er macht eine weite gebärde hinaus in die landschaft. In dem
SIR CLOUGH WILLIAMS-ELLIS MIT PATRICK McGOOHAN
1966 WÄHREND DER DREHARBEITEN ZU NUMMER 6
(QUELLE: IN THE VILLAGE NR. 25/2000)
moment rief Lady Amabel zum tea. Personal war nicht zu sehen. Diverse marmeladen, frische brötchen, butter auf einer dreh-etagère in der mitte des mahagonitisches. Wedgewoodgeschirr. Und da erschien die Lady selbst. Rund, fröhlich, grauhaarig und sehr sophisticated, wie sich später herausstellte. Sie humpelte und ächzte ein wenig. "Das flugzeug war so überfüllt," erzählt sie, "zwölf stunden nonstop und keine möglichkeit, sich die füße zu vertreten. Ekelhaft. Ich hin noch ganz lahm." Sie sieht meine unausgesprochene frage. "Ich hin erst seit gestern zurück. Drei wochen Kathmandu sind ganz schön anstrengend." Ich: " . . .?" Sie strahlt: "Meine enkelin ist so ein hippiemädchen in Kathmandu. Man hört ja die unglaublichsten sachen üher drogen und so. Da bin ich rasch hin, nachschauen, was sie eigentlich treibt. Ich habe drei wochen mit den jungen leuten gelebt. Auf dem fußboden geschlafen. Wenn's wasser gab, haben wir gekocht oder etwas gewaschen. Gab es kein wasser, bliehen wir schmutzig. Acht stunden meditation pro tag, very interesting, dieser Buddhismus. Meine enkelin ist allright. Alle dort sind allright. Es ist einfach die freude am dasein, verstehen Sie? No drugs, and even no sex, as far as I could see."
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Aber länger als drei wochen wollte sie nicht fortbleiben. Ihr mann wird ja 90, da ist das nicht gesund für ihn, so lang allein zu sein. Sie selbst hingegen sei ja erst einundachtzig. Und nun schreibe sie ein buch über die hippies und auch über Buddhismus. Lady Amabel Williams-Ellis, tochter des herausgebers John St. Loe Strachey und schwester von ]ohn Strachey, dem kriegsminister in Attlees Labour-regierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Hocharistokratie nennt man so was in Deutschland. Sie hat ein beachtliches oeuvre aufzuweisen. Romane, kinderbücher, sachbücher. Im jahr 1928 schrieb sie ein buch üher die frauenemanzipation. Sie fragt mich: "Wie ist das nun in Deutschland? Wird der § 218 abgeschafft? Erzählen Sie mir über die situation der frau."
Sir Clough interessierte der § 218 überhaupt nicht. Er fragte "Haben Sie schon Portmeirion gesehen? Nein? Also da war die burg meiner ahnen, eben die von Gruffydd ap Cynan. Im jahr 1869 wurde sie von irgendeinem Sir William Fothergill in die luft gesprengt - er sagte: ,damit die ruine berühmt wird und viele besucher anlockt' - er behauptete übrigens, er sei der erfinder des elektrischen telegraphen. So blieb mir nur noch die ruine. Ich: "Und da haben Sie das schloss wieder aufgebaut?" Er: "Nein. Aber ich zeig' Ihnen das."
PORTMEIRION
Wir gingen, oder richtiger: wir fuhren. Lady Amabel bestand darauf, the terrible car, this Citroën, auszuprobieren. Nie wieder lasse ich eine echte Lady mein auto fahren. Ich saß hinten mit Sir Clough. Und sie lenkte, fragte und redete. Und jedesmal drehte sie sich zu uns um, jeweils nach rechts oder links. Das steuerrad hielt sie fest in der hand, und wann immer sie sich zu uns drehte, drehte sie auch das steuerrad - nach rechts oder links. Wir schlingerten dramatisch den heckenweg entlang in angeregtem gespräch. Anfangs fand ich auch nicht heraus, wann sie eigentlich schaltete. Zuletzt begriff ich: Bei jeder pointe, die sie setzte, legte sie energisch einen anderen gang ein. Es war abenteuerlich und fabelhaft. Trotzdem kamen wir heil unten am meer an, am ästuar in Portmeirion.
Und da sah ich die bescherung. Sir Clough hatte die schmach an der familie wieder gutgemacht. Er baute zwar nicht die burg seiner väter wieder auf, sondern da stand ein italienischer Campanile, wie er vielleicht nicht eben in Florenz zu finden ist,
DIE DOMKUPPEL NICHT MEHR GRÜN NACH RENOVIERUNGEN
IN DEN 80ER UND 90ER JAHREN, ABER SONST ALLES WIE GEWOHNT:
PORTMEIRION
wohl aber in einem südlichen fischerdorf. lm sieg des romantikers über den telegraphisten steckt die story des alten, jugendlichen Clough und seines dorfes Portmeirion. Denn auch echt italienische fischerhäuschen gruppieren sich zwanglos zwischen rhododendron- und azaleengebüsche rund um den heiteren turm.
Aber wer hat schon gern nur ein kleines dorf. Sonniger süden - nicht wahr. Was noch fehlte, war ein italienischer dom. Auch den gibt es jetzt - ein miniatur-dom mit grüner kuppel. Ein dom aus den träumen unserer kindheit. Es gibt auch einen gotischen spitzbogen, es gibt eine Gloriette - schöner als in Schönbrunn selbstverständlich, und all das ist ganz und gar echt. Sogar ein rathaus besitzt dieses nicht-dorf. Emral Hall in Flintshire sollte demoliert werden. Man sehnte sich dort nach einer autobahn. Sir Clough kannte von früher den großartigen ballsaal und die gewölbte decke mit einem fresko aus dem 17. jahrhundert - darstellend 'Leben und Riten des Herkules'.
So fuhr er hin - die auktion war in vollem gang -, und er kaufte rasch das fresko für 13 Pfund. Was aber tut man mit einer ballsaaldecke aus dem 17. jahrhundert allein? Er jagte den anderen alles übrige wieder ab. Türen, fenster und täfelungen. Die dreizehn Pfund vervielfachten sich dramatisch. Dann wurde die ganze halle zerlegt und zersägt. Jeder stein bekam eine nummer. Ein langer sonderzug brachte das zersägte rathaus nach Portmeirion. Und nun [anm.: seit 1938] ist es originalgetreu von restauratoren der National Gallery aufgebaut worden. Und es ist eine freude. Es ist ein rathaus ohne stadt. Aus den fenstern sieht man auf barock, renaissance, gotik und auf echten Clough Williams-Ellis.
Portmeirion ist ein heim für gefallene kunstdenkmäler geworden. "Clough's Folly"? Eine herrschaflliche laune des letzten königs von North Wales, im stil der schäferspiel-romantik am hof der Marie Antoinette? Ein protest gegen den beton, der uns langsam frisst und der Europa verschandelt? ]a und Nein. Der erbauer dieses märchenlandes oder auch dieses Disney- Land, wenn man so will, ist nicht ausschließlich ein träumer und romantiker mit aberwitzig viel geld. Betritt man so ein fischerhäuschen, so findet man ein luxuriöses appartement, das an
QUELLE: OPEN STREETMAP
zahlungskräftige wirtschaflskapitäne aus Birmingham oder Manchester vermietet wird. Essen kann man im alten herrschaftshaus unten am strand. Dieses kuriose fischerdorf ist ein luxushotel für 120 gäste. Es ist ständig ausverkauft. Kongresse tagen hier. Der englische hof brachte seine ehrengäste in Portmeirion unter, als Elisabeths sohn [anm.: 1969] zum Prinzen von Wales gekrönt wurde. Für bescheidenere portemonnaies ist die sache unerschwinglich, und doch kostet ein ganzer großer hummer immer noch bloß zwei Pfund - das sind nicht ganz dreizehn Mark. Serviert wird er selbstverständlich von echt neapolitanischen kellnern. Und die brillantenbehängten damen aus Manchester geraten außer sich vor entzücken über pausbäckige barockengelchen und den schwarzlockigen gärtnerburschen, der ihnen auftragsgemäß "Ciao Bella" nachzurufen hat.
Portmeirion ist ein romantischer kindheitstraum mit kommerziellem hintergrund (oder vordergrund). Sir Clough grinst mich an. "lt's just like Italy. l like Italy, you know."
Der artikel erschien 1980 im MERIAN-themenheft "Wales" im Hoffman und Campe Verlag als veränderter reprint des heftes nr. 6, jahrgang 27.
Die autorin Helga Heller (1934 - 1976) war journalistin und mit dem österreichischen schriftsteller Robert Neumann (1897 - 1975) in dessen vierter ehe verheiratet.
Aus Sir Cloughs aussage, wonach er demnächst 90 jahre alt werde, geht hervor, dass Hellers besuch 1973 stattgefunden hat.
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