THE PRISONER 1968, als
die Serie zuerst bei CBS gezeigt wurde, gesehen habe. Bei unseren
wöchentlichen Zusammenkünften mit kumpels
von der Universität haben wir uns prächtig damit amüsiert.
Wir tranken Bier, rauchten schlechtes mexikanisches Kraut und diskutierten
über die Bedeutung jeder einzelnen Episode. Und ich sagte befürchtete Erwartungshaltung, denn die
AUS DEM ENGLISCHEN VON ARNO BAUMGÄRTEL |
Zeit ist eine vergessliche Lady, und
die nostalgischen Erinnerungen an meine sorglose Vergangenheit haben
möglicherweise zur Gedächtnistrübung geführt,
ob diese Serie nun großartig war oder nicht. Und obwohl die
Serie über die Jahre wahrscheinlich verschiedentlich wiederholt
wurde (ich habe sie Jahrzehnte nicht mehr gesehen), kann man nicht
sagen, dass THE PRISONER populär ist - bis auf die letzte Zeit.
Was bestimmt der Grund für die gewagte Entscheidung zur Veröffentlichung
des DVD-Sets durch A&E ist. Deshalb
muss man den pedantischen und besessenen PRISONER-Cult-aficionados
dankbar sein, dass sie die Flamme um Patrick McGoohans exzentrische
Vision am Leben gehalten haben und es so nachfolgenden Generationen
ermöglichen, sich an den sozio-philosophischen Machenschaften
von Nummer Sechs und seinen unerbittlich ideenreichen Gefängniswärtern
zu erfreuen.
A&E-EDITION ZUM 35. JUBILÄUM
NETWORK-EDITION ZUM 50. JUBILÄUM 2017
Eins
hat die Zeit mir gezeigt: Um THE PRISONER ganz zu verstehen, muss
man noch weiter in die Vergangenheit zurück gehen als die Serie
selbst, bis 1965, zur britischen Spionageserie DANGER MAN [dt.:
Geheimauftrag für John Drake, USA: SECRET AGENT; Ü.].
Patrick McGoohan war DANGER MAN. Und obwohl er angeblich der bestbezahlte
britische Fernsehschaupieler war, war er doch gelangweilt, gelangweilt,
gelangweilt, ständig den cleveren und gefährlichen John
Drake zu spielen, einen international tätigen Spion, der alle
Qualitäten seines Kinorivalen James Bond hatte; mit Ausnahme
von Jimmys unermüdlichen Verführungen fantastischer Frauen.
Mitte
bis Ende der 60er Jahre war DANGER MAN ein überwältigender
Hit, der Sir Lew Grade von ITC reich machte und McGoohan zum Superstar.
Und sogar Sänger Jimmy Rivers machte 1965 mit dem Song "Secret
Agent Man" seinen Reibach. Wenn das nicht schon ein bisschen
zu viel ist, sollte man sich daran erinnern, dass dies hier die
Mitt-60er Jahre sind, deren Symbolbild war der stets gewissenhafte
Spion, der den Westen vor einer ganzen Bande böser Jungs, von
ernsthaften bis albernen, rettete. Genau so wie zuvor der Western
waren Spionageshows allgegenwärtig; angefangen bei James Bond
über die Flint-Filme von James Coburn im Kino bis zu Fernsehserien
wie THE AVENGERS, I SPY, THE MAN FROM U.N.C.L.E., GET SMART und
so weiter und so weiter [dt.: Mit Schirm, Charme und Melone,
Tennis-Schläger und Kanonen, Solo für O.N.K.E.L., Mini
Max/Maxwell Smart; Ü.].
Dann
geschieht das Undenkbare. McGoohan, gerade auf dem Höhepunkt
seines Ruhms, beschließt, dass er genug davon hat, John Drake
zu spielen und zieht sich von der Serie zurück. Er hat eine
Idee für etwas Neues, das er THE PRISONER nennt, ein Spion
gefangen in einem Gefängnis für Spione. McGoohan zieht
den kreativen Kern zusammen, bestehend aus Produzent/Regisseur David
Tomblin, mit dem zusammen er schon Everyman Films gegründet
hat, sowie Skriptredakteur George Markstein und Art Designer Jack
Shampan. Sie alle, die bei DANGER MAN mitgearbeitet hatten, waren
verfügbar dank McGoohans Rückzugsentscheidung, weil ohne
Beschäftigung. Sie treffen sich, zimmern ein Konzept zusammen
und McGoohan trägt die Idee Lew Grade vor. Lew kauft die Idee,
eigentlich nur ein Konzeptumriss, und McGoohan erhält ein fürstliches
Budget von 75.000 Britischen Pfund pro Episode (was THE PRISONER
zur teuersten Serie ihrer Zeit macht). McGoohans ursprünglicher
Plan waren sieben einstündige Episoden, aber Sir Lew braucht
mehr, um die Sache auch international verkaufen zu können.
Er will 26, McGoohan stimmt zu. Mittlerweile ist 1966, und Sir Lew
will in einem Jahr damit auf Sendung gehen. Also bleibt sehr wenig
Zeit, alles zusammen zu entwickeln, was schließlich die Produktion
zum Knirschen bringen und Auswirkungen auf die Serie haben wird.
So
beschreibt McGoohan selbst dem Autor und Fernsehmoderator Warner
Troyer im März 1977 die Ereignisse. Das berühmte Interview wurde im Auftrag der Ontario Educational Communications Authority
gemacht und im TV Ontario gezeigt, ein kanadisches öffentliches
Fernsehen, wo die Serie zwischen Oktober 1976 und Februar 1977 mit
Kommentaren von Troyer ausgestrahlt worden war.
McGoohan:
"Ich hatte 54 Mal DANGERMAN gemacht, und ich dachte, das
wäre eine angemessene Zahl. Ich ging also zu dem Gentleman,
Lew Grade, dem Finanzier, und sagte ihm, dass ich mit SECRET AGENT
aufhören und etwas anderes machen wollte. Das mochte er aber
nicht. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich ewig damit weiter
gemacht hätte. Ich sagte ihm aber, ich würde aufhören.
Also fragte er: 'Was ist der Plan?' Das war anfangs nur am Telefon.
Also traf ich ihn am Samstagmorgen um 7 Uhr. Das war immer die Zeit
für unsere Unterhaltungen. Und er fragte: 'Was ist der Plan?'
Von der PRISONER-Sache hatte ich schon einen Entwurf vorbereitet.
Ich war ursprünglich darauf gekommen, als wir für SECRET-AGENT-Aufnahmen
in einen Ort namens Portmeirion gegangen waren. Für mich war
das ein außergewöhnlicher Ort, architektonisch und atmosphärisch,
den man ruhig für etwas benutzen sollte. Das war zwei Jahre,
bevor ich das Konzept entwickelte. Ich bereitete es vor und ging
zu Lew Grade. Ich hatte Bilder vom Ort und einen Entwurf dabei,
aber er sagte nur: 'Ich will den Enwurf nicht lesen'. Er meinte,
er lese nie Entwürfe, er könne nicht lesen, nur Abrechnungen.
Und dann: 'Also, um was geht es, erzähl's mir.' Ich erzählte
ungefähr zehn Minuten lang, dann stoppte er mich und sagte:
'Ich verstehe kein Wort von dem, was du da sagst, aber wie viel
soll es kosten?' Komischerweise hatte ich schon eine Finanzierung
dabei. Ich sagte es ihm und er: 'Wann kannst du anfangen?' Ich sagte
am Montag, mit den Skripts. Er sagt: 'Das Geld ist am Montagmorgen
auf dem Konto deiner Firma.' Das war es auch. Und so fingen wir
an. Dahinter stand natürlich eine gewisse Ungeduld mit der
Numerologie der Gesellschaft, und wie wie uns in Ziffern verwandeln
lassen, es war also noch etwas anderes dahinter."
Vorsicht,
was hier durchkommt, ist McGoohans Version der Dinge. Wie alles
an der Serie, ist sogar ihre Entstehung kontrovers. Nach Skriptredakteur
George Markstein, der schon im ersten Jahr ausstieg (angeblich nachdem
er und McGoohan sich über die Größe ihres jeweiligen
Egos in die Haare geraten waren), war der ganze PRISONER sein Konzept.
In einem seltenen Interview, kurz vor seinem Tod Anfang der 90er
Jahre, sagte er:
"Alle
hofften, McGoohan würde eine Serie machen. Ich fing also an,
ein paar Seiten in die Schreibmaschine zu tippen - Sie wissen, der
Hafen im Sturm. Es ging um einen Geheimagenten - schließlich
war John Drake einer gewesen -, der plötzlich ohne offensichtlichen
Grund aussteigt, so wie McGoohan ausgestiegen war, und der entführt
wird! Ich hatte ein bisschen über Spezialeinsatzkräfte
recherchiert und eine seltsame Einrichtung während des Krieges
in Schottland gefunden, in die man widerspenstige Agenten brachte
- und wer konnte widerspenstiger sein als McGoohan! Das erschien
mir eine ausgezeichnete Idee zu sein, um damit zu spielen. Ich wusste
aber nicht, wie man das nennen sollte, also bezeichnete ich es als
"The Prisoner", ganz einfach. Der Mann war ein Gefangener,
dann sollte er auch so heißen. McGoohan sprang darauf an.
Die historische, oder soll man sagen faktische Seite der Sache interessierte
ihn sehr. Zum Beispiel, konnte ein Geheimagent verschwinden... -
wissen Sie, wie könnte jemand in unserer Gesellschaft verschwinden
und irgendwohin geschafft werden? Ich laberte etwas von "D"-Vermerken,
wie die Behörden Nachrichtenmedien dazu bringen können,
Dinge nicht zu veröffentlichen [Nachrichtensperre; Ü.],
was ja heutzutage tatsächlich auch geschieht. Das fand er sehr
interessant. Von "D"-Vermerken hatte er noch nie gehört,
und es überzeugte ihn, dass diese Fantasy-Horrorstory auf gewissen
Fakten beruhte, was ja auch der Fall ist."
Cooles
Zeug. Aber es ist Zeit, sich wieder mit Nummer Sechs und den anderen
imaginären Nummern in THE PRISONER vertraut zu machen. Jetzt,
Jahrzehnte nach der ersten Sendung, kann ich die Mysterien noch
einmal durcheinander bringen. Mysterien? Vielleicht. Oder einfach
intellektuelles Funkeln, glänzend reflektierte Ideologien ohne
wirkliches thematisches Gerüst? 33 Jahre später Zeit,
es herauszufinden.
KEIN
MENSCH IST BLOSS EINE NUMMER
Die
Erklärung für das ganze Konzept der Serie findet sich
in dem Ministück am Anfang jeder Episode. Dunkle Wolken am
Himmel, Blitze, Donnergrollen. Ein Geräusch wie ein Düsenjet.
Die Totalaufnahme einer Rollbahn. Mit Einsetzen des Cembalos in
der Titelmusik huscht ein Lotus Seven (KAR120C) auf uns zu und die
Bahn entlang, darin ein grimmig blickender Mann. Schnitt auf die
Straßen von London, eine Tiefgarage. Düster schreitet
der Mann einen Gang hinunter, wirft dramatisch Schwingtüren
auf, hämmert auf den Schreibtisch eines glatzköpfigen
Bürokraten (niemand anderer als George Markstein, der Skriptredakteur
der Serie) ein, knallt sein Kündigungsschreiben darauf und
stürmt wieder hinaus. Sein Passfoto wird maschinell ausgeixt
und die ID-Karte in einem Archiv mit der Aufschrift "Resigned"
abgelegt [Dieses Detail fehlt im deutschen Vorspann; Ü.].
Der Mann kehrt nach Hause zurück, unbemerkt verfolgt von einem
Fahrzeug. Er nimmt seinen Reisepass und packt einige Sachen. Dann
wird er von einer Art Gas, das durch seinen Briefeinwurf gepumpt
wird [durch das Schlüsselloch; Ü.] überwältigt.
Als er wieder aufwacht, stolpert er unsicher zum Fenster und öffnet
die Jalousie. Der Blick fällt auf den Hauptplatz des Ortes
["The Village" - auf deutsch ohne Bezeichnung,
nur der "Ort"; Ü.], eine fantastische
Ansammlung ausgefallener Gebäude, Gassen und Parkanlagen auf
einem grünen Hügel über einer sandigen Bucht. Sein
Name, der in der ganzen Serie niemals zu hören ist, ist jetzt
"Nummer Sechs", und die Unbekannten, die ihn gefangen
halten, angeführt von Nummer Zwei, wollen von ihm wissen, warum
er sich vom Dienst zurückgezogen hat. Er ist entschlossen,
es nicht zu sagen. Am Ende der Szene sieht man ihn wild über
den vom Mond beschienenen Strand rennen, er reißt seine Faust
in die Luft und stimmt den inzwischen berühmten Schlachtruf
an: "Ich bin keine Nummer, ich bin ein freier Mensch!"
ACHTUNG
WARNHINWEIS - SPOILER!
Es
folgen Inhaltsangaben aller 17 Episoden. Wenn Sie die Serie noch
nicht gesehen haben, es aber tun und vorher nichts darüber
wissen wollen, machen Sie weiter bei "Six
Of One".
Die
Eröffnungsepisode ist großartig. Mit dem schlichten Titel
"Die Ankunft",
setzt sie die Prämissen der Serie und ihren Stil. Eher einführend
als aktionsgeladen, wie es sich für ein Kapitel eins gehört,
transportiert "Die Ankunft" doch in dem Maße eine
düstere Stimmung, wie unser Held langsam seine missliche Lage
realisiert und ein ein paar zögernde Fluchtversuche unternimmt.
Dabei lernt er, dass er niemand vertrauen kann, und er trifft nicht
nur eine, sondern zwei Nummer Zweien. Und gleich vorneweg lernen
wir eins der wiederkehrenden PRISONER-Merkmale kennen: eine besessene
Aufmerksamkeit gegenüber dem Detail.
In
"Freie Wahl"
kandidiert Nummer Sechs bei einer Wahl für die Position von
Nummer Zwei, um die mysteriöse Nummer Eins zu treffen. Diese
Episode, bei der McGoohan für Drehbuch und Regie verantwortlich
war, ist einerseits eine beißende Attacke auf das demokratische
Wahlverfahren, andererseits eine Warnung an Nummer Sechs, dass seine
Widersacher ihn in vielfacher Weise brechen können und psychische
und physische Folter anzuwenden bereit sind, um ihre Ziele zu erreichen.
In
"Die Anklage",
einer Verschmelzung von Gehirnwäsche und Rechtssystem, versucht
eine vornehmlich weibliche Besetzung (einschließlich einer
Katze!), Nummer Sechs' Willen zu beugen, und das vor dem inkongruenten
Hintergrund eines Karnevals. Nachdem Nummer Sechs das Transistorradio
eines an den Strand gespülten Toten gegen die Regeln an sich
genommen hatte, wird er vor ein Scheingericht gestellt. Er erfährt,
wie leicht die anonyme Masse sich vereinnahmen lässt. Es gelingt
ihm, der aufgebrachten Menge zu entkommen, und er findet sich schließlich
in einem Raum mit einem Fernschreiber. Der scheint, gegen alle Stimmigkeit,
das verbindene low-tech-Element in der Kommunikation zwischen dem
Ort und Nummer Eins zu sein. Diese Episode wurde anscheinend
mächtig von Orson Welles beeinflusst, wobei die Verfolgungsjagd
unter dem Rathaus beinahe exakt aus dem Welles-Film nach Kafkas
"Prozess" zu stammen scheint.
In
"Schachmatt"
ist Nummer Sechs der Königsbauer in einem Real-Schachspiel.
Ein Turm-Spieler dreht durch und wird wegen "individuellem
Verhalten" zur Aversionstherapie gebracht. Nummer Sechs aber
glaubt, er könnte noch immer ein Kandidat für die gemeinsame
Flucht sein. Nummer Sechs lässt sich auch von Nummer 14 beeindrucken,
der behauptet, anhand der Haltung von entweder Unterwürfigkeit
oder Arroganz zwischen Gefangenen und Wärtern unterscheiden
zu können. Unter der Annahme, dass Mitgefangene tun würden,
was man von ihnen verlangt und Wärter nicht, versammelt er
eine Gruppe um sich, um über das Meer zu flüchten. An
Bord des Fluchtschiffes wartet eine Überraschung auf ihn -
auf einem Monitor erscheint das Gesicht von Nummer Zwei. Nummer
Sechs ist in seine eigene Falle gegangen. Seine eigene Arroganz
überzeugte seine Mitverschwörer, dass er einer der Wärter
sei, der sie zu verführen versuchte.
"Die
Glocken von Big Ben" zeigt Nummer Sechs als Fluchtkünstler.
Seine geniale Holzarbeit mit dem Titel "Flucht" ermöglicht
ihm zusammen mit einer neuen Gefangenen, der schönen Nummer
Acht, die Flucht aus dem Ort über das Meer. Nach Monaten
der Reise erreicht er das Londoner Büro seines Dienstes, aus
dem er ausgestiegen war, so sieht es aus. Doch in dem Augenblick,
da er beginnt, ihre Fragen zu beantworten, bemerkt er am Schlag
von Big Ben, dass alles nicht das ist, nach was es aussieht.
In
"A, B und C"
dringt Nummer Zwei in Nummer Sechs' Träume ein, um herauszufinden,
warum er den Dienst verlassen hat. Jeder der Buchstaben steht für
eine Injektionsdosis, die bestimmte Träume befördern soll,
in denen Nummer Sechs einer Person seine Beweggründe für
den Rückzug vom Dienst anvertrauen könnte. Prima Ausgangsbasis,
großartiges Ende.
"Der
General" stellt eine Warnung vor Unterrichtsmethoden
dar. Eine Art unbewusstes Schnelllernen pflanzt Faktenwissen in
den Kopf. Was aber sind Fakten wert ohne Verständnis derselben?
Im Stil von Captain Kirk und STAR TREK nimmt Nummer Sechs den Kampf
auf gegen den "General" - einen raumgroßen Computer.
In
"Der Doppelgänger"
spielt McGoohan zwei Rollen - Nummer Sechs und sein Double Nummer
12. Nummer Sechs erhält eine massive Gehirnwäsche, die
ihn glauben macht, er sei Nummer 12, um als Nummer Sechs' Double
zu agieren, damit er selbst glaubt, er sei Nummer 12. Umgekehrt
behauptet sein Double, er sei die richtige Nummer Sechs. Wer ist
wer? Um das herauszufinden, muss man Gedankenlesen können...
"Herzlichen
Glückwunsch" ist wieder eine Fluchtstory.
Nummer Sechs wacht in einem völlig menschenleeren Ort
auf, baut ein Floß und schafft es letztlich bis nach London
zu seiner Wohnung und seinem Wagen. Er überzeugt seine ehemaligen
Kollegen von der Existenz des Ortes und begibt sich mit einem
Flugzeug auf die Suche. Als man ihn gefunden hat, sagt der Pilot:
"Wir sehen uns!", den üblichen Gruß des Ortes,
zu einer schockierten Nummer Sechs, der dann per Schleudersitz aus
der Maschine geworfen wird und mit einem Fallschirm zurück
in den Ort gelangt.
In
"Das Amtssiegel"
ist Nummer Sechs damit beschäftigt, einen Mordplan der neuen
Nummer Zwei gegen die amtierende Nummer Zwei zu vereiteln. Um Verwirrung
zu stiften, werden die Behörden von den "Jammers"
laufend mit absichtlichen Falsch- und Alarmmeldungen versorgt. Wir
lernen "Kosho" kennen, ein Trampolinspiel, das McGoohan
erfunden hatte, bei dem der Gegner durch viel Herumspringen in ein
Wasserbassin geworfen werden muss. Alles in allem eine konfuse,
unbefriedigende Episode.
In
"Sinneswandel"
weigert sich Nummer Sechs noch immer, sich der Gemeinschaft im Ort
anzuschließen. Daraufhin findet er sich von einem Bürgerkommitee
als "Rebell", "Reaktionär" und "Dissident"
angeklagt. Er wird für "gemeinschaftsfeindlich" erklärt
und der "sofortigen Sozialkonversion" unterzogen - einer
Gehirnoperation, die von der Ärztin Nummer 48 vorgenommen und
im örtlichen Fernsehen übertragen wird. Anschließend
erscheint Nummer Sechs als geläuterter Mensch, ruhig und unaggressiv,
von den Ortsbewohnern als "soziale Umerziehung" begrüßt.
Mittels eines Tricks bringt Nummer Sechs Nummer 48 später dazu
zuzugeben, dass die Operation vorgetäuscht war und der Eindruck
durch Drogen hervorgerufen wurde. Nummer Sechs, nun wieder im Besitz
seiner Kräfte, setzt sie unter einen posthypnotischen Befehl
und dreht den Spieß gegen Nummer Zwei um.
Nummer
Zwei foltert Nummer 73 in "Hammer
oder Amboss", bis sie sich aus dem Fenster zu Tode
stürzt. Nummer Sechs schwört Rache und bringt Nummer Zwei
sehr clever an den Rand des Wahnsinns, so verheerend, dass der sich
selbst bei Nummer Eins abmeldet.
Identitätstransfer
ist die Grundlage von "2:2=2".
Nummer Sechs erwacht in seiner Londoner Wohnung und entdeckt, dass
sein Verstand im Körper eines anderen Mannes steckt. Ein verschwundener
Wissenschaftler wird gefunden, es gibt noch mehr Verstandestausch
und einen hübschen Kniff am Ende. Die Story machte es möglich,
ohne McGoohan zu drehen, was es ihm erlaubte, in die USA zu gehen
und seine Rolle in EIS STATION ZEBRA zu spielen.
"Harmony",
der erste Western, der für das Fernsehen in Großbritannien
gefilmt wurde, beginnt mit einer Westernparodie auf die übliche
Geschichte des Vorspanns mit dem Rückzug vom Dienst. Ein Mann
in Westernkleidung reitet in die Stadt und legt sein Sheriffsamt
nieder. Beim Verlassen der Stadt wird er von einer Bande Cowboys
angegriffen und in einen Ort namens "Harmony" verschleppt.
Nach einigen Westernabenteuern und einem Revolverduell, bei dem
er eine Kugel in den Kopf bekommt, wird Nummer Sechs wach und findet
sich im Ort wieder, umgeben von Pappbildern mit Westerngestalten
darauf. Offenbar hatte man ihn unter Drogen gesetzt und die Sache
ausagieren lassen. In den USA wurde diese Episode nicht gesendet.
Man hielt es für ungeeignet, während des Vietnamkrieges
friedensbewegte Nichtkämpfer zu zeigen.
Es
folgt "--3-2-1-0",
eine Spionageparodie mit Justine Lord als Frau, die glaubt, sie
und Nummer Sechs seien füreinander geschaffen: er als geborener
Überlebenskünstler und sie als geborene Killerin. Ihre
Methoden sind zum Lachen, von explodierenden Cricketbällen
bis zu vergifteten Drinks in einer Bar. Und es wird noch besser:
Ihr Vater glaubt, er sei Napoleon. Sie leben in einem Haus, das
in Wirklichkeit eine Rakete ist, ihr Ziel: London. Schlau vereitelt
Nummer Sechs ihre Pläne. "Und so rettete ich London vor
dem verrückten Wissenschaftler", sagt Nummer Sechs zu
zwei Kindern aus dem Ort, denen er die Geschichte vorgelesen
hat, während Nummer Zwei und seine Busenfreundin heimlich lauschen.
Eine Verbeugung in Richtung MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE.
Im
Gegensatz dazu ist "Pas
de deux" ein brutaler tödlicher psychologischer
Kampf zwischen Nummer Sechs und Nummer Zwei (von Leo McKern ganz
hervorragend gespielt). Eines nachts wird Nummer Sechs von Nummer
Zwei einer Gehirnwäsche unterzogen. Er singt ihm Kinderlieder
vor, und als Nummer Sechs erwacht, ist sein Verstand in die Kindheitsphase
regrediert. Aber Nummer Sechs schlägt zurück, Nummer Zwei
zeigt Schwächen und Verzweiflung und stirbt schließlich.
Nummer Sechs hat seine Freiheit errungen und die Chance, Nummer
Eins zu treffen.
So
weit die PRISONER-Reihenfolge nach A&E. Nach wie vor gibt es
viele Kontroversen darüber, wie die genaue Episodenabfolge
auszusehen habe. McGoohan und die anderen mussten sehr schnell mehr
Stories entwerfen, um Lew Grades Forderung nach 26 Episoden zu erfüllen.
Für das erste Jahr wurden 13 hergestellt (vier davon wurden
nach McGoohan "über's Wochenende" entwickelt), und
nachdem die Ausgangsprämisse sich erschöpft hatte und
die Zuschauerzahlen fielen, entschied man sich, die Serie zu beenden.
DIE
LETZTE EPISODE "DEMASKIERUNG"
"Pas
de deux" mündet nahtlos in die letzte, kontroverse Episode
"Demaskierung".
In vielfacher Hinsicht ist das eine Geschichte für sich selbst,
die ihre eigene Betrachtung verdient. Ob brilliant oder hohl, McGoohan
hatte nur ein paar Tage, um die Serie zu beenden, und schrieb diese
Episode unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Ausstrahlung
erzielte Rekordzuschauerzahlen und machte Schlagzeilen wegen der
sich daraus ergebenden Auseinandersetzungen. Die negative Reaktion
war derart stark, dass anscheinend McGoohans Wohnung von Menschen
belagert wurde, sodass er London für einige Wochen verlassen
musste. Es
ist eine ausgeflippte Geschichte.
DAVE BARRIE: THE MAJESTY OF FALL OUT
In
Fortsetzung der Episode "Pas de deux" wird Nummer Sechs
vom Supervisor und dem ubiquitären Mini-Butler zu Nummer Eins
gebracht. Er betritt eine riesige Kaverne, deren eine Seite von
technischen Geräten eingenommen wird, die andere von einem
halbkreisförmig angeordneten Auditorium von in Roben und Kapuzen
gekleideten Gestalten, von denen jede eine Vereinigung oder Interessengruppe
aus dem Ort vertritt. Sie tragen scheußliche, halb
weiß, halb schwarz geteilte Masken. Im Zentrum des Raums präsidiert
ein Richter (Kenneth Griffith). Militärpolizei ist überall
verteilt. Auf einer Art rotierender Wippe sitzen Männer mit
Maschinengewehren, daneben befinden sich dampfende Öffnungen
im Boden. Dann gibt es noch eine zylindrische Wand mit einem mechanischen
Glasauge darin (Reminiszens an HAL *).
The Richter beginnt mit einer langen, polternden Rede, während
der einem jungen Mann, Nummer 48 (Alexis Kanner), den man aus einer
der Bodenöffnungen hervorgeholt hat, eine Strafpredigt gehalten
wird. Der erwidert mit einer komischen Mischung aus hippem Slang
und Gesang - dem traditional Negro-Spiritual "Dem Bones".
Anschließend wird die verstorbene Nummer Zwei wiedererweckt
(Und es entsteht ein Kontinuitätsproblem, da McKern mit kurzem
Haar, abrasiertem Bart und schlankerer Figur wiederbelebt wird!
"Demaskierung" wurde Monate nach "Pas de deux"
produziert).
Nummer
Sechs erhält seinen Namen zurück - "Sir" -,
eine Million Dollar in Reiseschecks, seinen Reisepass, Schlüssel
zu seiner Londoner Wohnung und für seinen Wagen. Und er wird
aufgefordert, zu den Maskierten zu sprechen. Aber seine Rede geht
im Geschrei der Maskierten unter. Vom Richter bekommt er die Einladung
zu Nummer Eins. Sie begeben sich in den Untergrund, vorbei an den
eingesperrten Nummer Zwei und Nummer 48, und wieder eine metallene
Wendeltreppe hinauf. Nummer Sechs befindet sich in einem Raum voller
Gerätschaften und mit einfachen Erdgloben - sowie einer verhüllten
Gestalt mit Kapuze, die ihm eine Kristallkugel überreicht.
Während Nummer Sechs sie annimmt, bemerkt er einen Nummer-Eins-Anstecker,
lässt die Kugel fallen und zieht Nummer Eins die Maske vom
Gesicht - sie enthüllt das Antlitz eines Affen. Charles Darwins
Schatten? Auch das Affengesicht ist eine Maske, das jenes von Nummer
Sechs frei gibt! Nummer Eins ist Nummer Sechs? Dieses Gesicht ist
aber eher das eines Es-Nummer-Sechs', das Töne ausstößt,
brabbelt, wie ein verrücktes Kind herumtänzelt, und dann
aus dem Raum flüchtet. Man fragt sich wirklich, ist das ernst
gemeint oder was?
Nummer
Sechs kehrt in den Kommandoraum zurück und dreht an den Schaltern.
Jetzt erkennt man, dass es sich um das Innere einer Rakete handelt
und Nummer Sechs die Startsequenz eingeleitet hat. In der oberen
Kaverne kommt es zur Panik, die Massenevakuierung des Ortes
beginnt.
Nummer
Sechs steigt die Wendeltreppe hinunter, macht die Wachen kampfunfähig
und befreit mit Hilfe des Butlers Nummer Zwei und Nummer 48. Zurück
in der zentralen Kaverne bricht ein Feuergefecht aus. Sie töten
die Wachen und entkommen in einer mobilen Zelle, die in Wirklichkeit
auf einem Tieflader montiert ist und zuvor in "Pas de deux"
zu sehen war. Damit donnern sie durch einen unterirdischen Tunnel.
Die letzte Einstellung des Ortes zeigt die gerade startende
Rakete.
Wundersamerweise
befinden sich die Flüchtenden nun auf der A20 in Richtung London.
Sie werfen die Gegenstände aus der Zelle. Nummer 48 steigt
unterwegs aus und versucht es als Anhalter auf eigene Faust. Nummer
Zwei steigt neben den Houses of Parliament aus, und Nummer Sechs
kehrt mit dem Butler zu seiner Wohnung zurück. Die Tür
öffnet sich selbständig, als er sie betritt - entlarvend,
da im Ort sich immer alle Türen automatisch öffneten.
Nummer Sechs setzt sich in seinen Wagen und fährt davon. Nach
einem Donnerschlag sieht man ihn auf einer Rollbahn genau so wie
in der Titelsequenz.
BRILLIANT
ODER HOHL
Ungeachtet
der künstlerischen Verdienste, muss man zugeben, dass "Demaskierung"
eine wirklich einzigartige Fernsehstunde ist. Ich weiß nicht,
ob sich jemals zuvor eine Serie mit voller Absicht "beendet"
hat wie diese. Aber selbst wenn man einen extra Serienabschluss
gehabt hätte, bin ich sicher, es wäre darauf hinausgelaufen,
die offenen Fragen zu klären und alles nicht noch undurchsichtiger
zu machen.
Bei allem Genie eines McGoohan, diese abschließende Episode
ist, in letzter Analyse, eine konfuse und verwirrende Nebelschwade
voller zart-schwebender Ideen und aus Schlafmangel entstandener
Bilder.
Bilder,
die sich höher und höher aufeinander türmen, bis
das Ganze sich in Unverständlichkeit verwandelt. Weder das
Publikum noch die Beteiligten kannten während der Serie die
Identität von Nummer Eins. Ich will damit nicht sagen, McGoohan
hätte sich seinem Publikum anbiedern und ihm einen Schurken
in James-Bond-Manier präsentieren sollen, der der Ausgangsidee
der Serie widersprochen hätte. Nach verpasster Gelegenheit
sieht es aus, wo McGoohan doch einen sehr guten Gedanken hatte,
Nummer Eins ist Nummer Sechs. Das hätte die Ironie vollendet,
dass wir alle Gefangene unserer Selbst sind, gefangen im Dualismus
von Gut und Böse. Dieses philosophische Möbiusband - das
zwei Oberflächen in eine überführt - ist eine großartige
Idee und verdient Besseres als das, was wir hier geboten bekommen.
SIX
OF ONE?
(IST DOCH JACKE...)
Also,
was macht nach so vielen Jahren aus THE PRISONER einen Kultklassiker?
Sechs Gründe fallen mir ein:
Das
kreative Team. Das ursprüngliche Team von McGoohan, Produzent David Tomblin,
Skriptredakteur George Markstein und Art Director Jack Shampan hatte
etwas Magisches. Sie hatten alle bei DANGER MAN gearbeitet, kannten
sich also gut, und jeder hatte wiederrum eine zuverlässige
Gruppe von begabten Leuten zur Verfügung. Und durch die wunderbare
Kombination von wenig Zeit und viel Geld entwickelten sie ein Konzept,
das bei weitem großartiger war als die Summe seiner Teile.
Die
Ausgangsprämisse. Man beginne mit einem großen Entwurf: Jemand legt seinen Job
als Spion nieder, wird gefangen genommen, irgendwo weit weg eingesperrt,
und man versucht auf clevere Art und Weise, ihn zum Sprechen zu
bringen und ihn in die Bevölkerung des Gefängnisses einzugliedern.
Man peppe das Ganze auf mit dem Ort - The Village -, den
endlosen Paraden von neuen Nummer Zweien, mit Science-Fiction-Elementen,
dem Rätsel um Nummer Eins sowie dem vermeintlichen Sieg des
Individuums, dann hat man eine großartige Plattform als Basis
für reizvolle Stories. Das wahre Gold liegt jedoch unter dem
Glitzer: nämlich die Grundidee, dass wir alle Gefangene sind,
Sie und ich, und dass wir die Anlagen für unsere eigene Vernichtung
in uns tragen.
Das
schauspielerische Talent. Von McGoohan abgesehen, der praktisch in jeder Episode präsent
ist, vereinnahmte die Serie die besten Fachkräfte Großbritanniens
zu jener Zeit. LeoMcKern ist außerordentlich gut, ebenso wie
Alexis Kanner, der drei Mal zu sehen ist. McGoohan bringt seinen
"Blick", dieser leicht-nach-oben-in-die-Kamera gerichtete,
dazu von tief unten heraus blitzende Augen, die selbstsichere Herausforderung
mit einem ironischen Grinsen, die geeignet ist, alle in seinem Umkreis
in Unruhe zu versetzen. Mit leichtem Singsang in der Stimme und
angenehmem Tonfall sowie Ausbrüchen von gewaltsamer Aktivität
wird er zur Verkörperung von Nummer Sechs, so wie James Bond
für immer Sean Connery bleibt.
Stil
und Inhalt. Nicht nur die Stories waren einzigartig, Bahn brechend war auch
die Art und Weise, wie es gefilmt wurde. Das gekappte Sprechen passt
perfekt zusammen mit den Markenzeichen der Serie wie schnelle Zooms,
vordergründige Toneffekte, mitreißende Musik, helle Ausleuchtung,
Teleaufnahmen und immer wieder schnelle Schnitte; sehr effektvoll
genutzt in den verbal gewalttätigen Verhörszenen. Dann
gibt es den Kontrast des viktorianischen Hochrades und der ausgefallenen
Architektur des Ortes zur Hi-Tech-Untergrundwelt von Nummer
Zwei und dem tödlichen Rover.
Art
Direction. Jack Shampan hätte für sein PRISONER-Design Preise verdient
gehabt. Obwohl McGoohan das Hotel Portmeirion schon Jahre vorher
für DANGER MAN ausgemacht hatte, trugen die Detailsorgfalt,
die Kostüme, das Käfigartige des Kontrollraumes, die unterirdischen
Sets zur Glaubwürdigkeit der überdrehten Geschichten bei.
Hilfreich war natürlich, dass er ein großzügiges
Budget zur Verfügung hatte.
Die
ewigen Rätsel. Weder vorher noch danach hat eine Fernsehserie so viele Fragen aufgeworfen
und unbeantwortet gelassen: Wer ist Nummer Sechs? Warum hat Nummer
Sechs seinen Job aufgegebeben? Wo ist der Ort? Wer beherrscht
den Ort? Und, am wichtigsten, wer ist Nummer Eins? Und der
Knaller aus "Demaskierung" Nummer Sechs ist Nummer Eins
wird seltsamerweise von den meisten Kommentatoren entweder ausgeblendet
oder sie üben Widerspruch. Diese unbeantworteten Fragen haben
die Serie offen und unaufgelöst gelassen. Was wiederrum sehr
viele Leute zu der ebenfalls rätselhaften Aufgabe bewogen hat,
dieser albernen Übung einen Sinn zu verpassen.
HALF
A DOZEN OF THE OTHER?
(... WIE HOSE?)
UNÜBERSETZBARE
REDEWENDUNG; ANM.D.Ü.
Klar,
was die Serie großartig machte, birgt in sich den Keim der
Zerstörung. Es geht um Beobachtung und Ironie. Vieles an THE
PRISONER ist schwerfällig und irritierend.
Der
McGoohan-Faktor.
Egal, welche kreative Rolle das Kernteam spielte, THE PRISONER ist
im Grunde McGoohans Kind. Obgleich kulturell in den liberalen und
toleranten 60er Jahren verwurzelt, lagen McGoohans Sympathien nicht
bei den aufsässigen, linken Kriegsgegnern, Studenten und Vertretern
des Sex-n-Drugs-and-Rock-n-Roll. "Sehr puritanisch" sei
er gewesen, sagte Co-Star Alexis Kanner. "In 'Living In Harmony'
mussten wir über die Brüste einer toten Frau einen Schatten
werfen. Patrick war dazu gekommen, und jeder wusste, dass er nicht
einverstanden war. Ich meine, er hat James Bond abgelehnt. 10 Millionen
Dollar hat man ihm angeboten, und ich weiß, dass es wahr ist,
nur dafür, mit ihm über die Rolle von James Bond zu sprechen."
Dieser puritanische Aspekt zeigt sich vielfach: Es gibt in der Serie
eine ganze Reihe (für die Zeit) fantastischer Frauen. Aber
Nummer Sechs verabscheut es, eine Frau auch nur berühren, geschweige
denn, sich mit ihr einzulassen. Markstein wirft McGoohan vor, gern
die Rolle Gottes zu spielen, und Nummer Sechs hat ganz sicher etwas
Gottähnliches; so, wie er die Niederlage aller teuflischen
Nummer Zweien züchtig plant (der letzte stirbt sogar), und
dann am Ende zur Musik des Gospel-Klassikers "Dem Bones"
sich selbst befreit. McGoohans Schritt vom Schauspieler zum Produzenten/Autor/Regisseur/Cutter
(engl. editor kann auch Redakteur sein; Ü.)
wird allgemein als misslungener Versuch angesehen.
Die
Ausgangsprämisse.
Wie McGoohan bemerkt, ist es einfach, sieben Folgen aus der Ursprungsidee
heraus zu entwickeln, aber nicht so einfach, das über 17 Episoden
hinaus zu strecken. Die zehn Füllepisoden bewegen sich weg
von der Spion-gegen-Spion-Idee mit dem Wer-ist-der-Raffiniertere-von-uns
und hin zum gesellschaftlichen Kommentar mit Unterformen wie Satire
(Erziehung, Politik), Ulk (andere Spionageserien) und Allegorie
(Western). Das Dumme ist nur, das PRISONER-Basiskonzept ist schlicht
der Kampf zwischen Gut und Böse, den wir in uns selbst führen,
stellvertretend dafür der sogenannte Freie Mensch und die Repressive
Gesellschaft. Man hört beinahe Freud-Geschnatter im Unbehagen
an der Zivilisation. Kann eine Institution einen Einzelnen bis zu
dem Punkt zerbrechen, dass er sich selbst verrät? Natürlich
nicht, wenn die Serie auch nächste Woche weitergehen soll.
McGoohan und die anderen müssen sich also wohl oder übel
all die Maßnahmen ausdenken, wie Nummer Sechs bedroht, aber
nicht geschlagen wird. Suspense ist da nicht möglich, bleibt
also Cleverness. Ach, und wie schwer es ist, diesen Weg einzuhalten.
Das
Rover-Syndrom.
Der tödliche Wasserball übernimmt viel zu oft die Rolle
des deux-ex-machina. Er scheint überhaupt nur deswegen zu existieren,
um Orts-Bewohner davon abzuhalten, in die Umgegend zu marschieren.
Dass er töten kann, macht ihn so bedrohlich wie das Gebrüll
bei seinem Erscheinen. Ursprünglich sollte Rover ein Vehikel
sein ähnlich wie ein Berliner-Pfannkuchen, das über Wände
klettern, schweben und tauchen konnte. Am ersten Drehtag fuhr man
es ins Meer und es sank prompt. Angeblich stand McGoohan gerade
am Strand und überlegte sich den nächsten Schritt, als
Produktionsmanager Bernie Williams Wetterballons am Himmel sah,
die er McGoohan zeigte. Der veranlasste, dass einer zur Begutachtung
beschafft wurde. Während der gesamten Serie verbrauchte man
angeblich über 6000 Stück. "Sie gingen sehr leicht
kaputt", erklärte Williams. Aber man brachte sie doch
dazu, sich so bewegen, als ob sie intelligent wären. Man könnte
hier argumentieren, dass Rover auf ebenso düstere Weise für
das "Altmodische" steht wie das immer präsente Pennyfarthing-Hochrad.
Aber er ist eins von mehreren Science-Fiction-Absonderlichkeiten,
die, technisch gesehen, den ganzen Rest dieses lächerlich anitquierten
Village-Computerzeugs bei weitem ausstechen. Vieles von der Science-Fiction
in THE PRSIONER wäre im Grunde heutzutage noch fabelhaft und
ist doch zu magisch für das Meiste der PRISONER-Technologie.
Die
idiotischen Rätsel.
Schon ein flüchtiger Blick durch das Internet bringt eine ganze
Anzahl großer PRISONER-Websites zu Tage, die sich alle, so
sieht es aus, auf Theorien über die "wahre Bedeutung"
der Serie eingeschossen haben. Man könnte vielleicht einwenden,
der Gedanke, alles immer offen zu lassen, ist die Basis für
den elliptischen Stil. THE PRISONER nutzt jedoch allzu gerne das
menschliche Bedürfnis nach Ordnung im oder aus dem Chaos und
bedient so gerade das Chaos, aus dem Theorien entspringen. McGoohan
wird immer wieder zitiert, dass er mit der Serie Diskussionen anregen
wollte, und das Ziel hat er erreicht. Man fragt sich aber doch,
wo die Grenze zwischen gutem Geschichtenerzählen und bloßer
Publikumsmanipulation überschritten wird.
Ob
Nummer Sechs John Drake aus DANGER MAN ist oder nicht, ist eine
diskussionswürdige Frage ohne Substanz. Der Punkt ist, Nummer
Sechs ist fast ein Außenseiter, ein Superman mit höherem
Bewusstsein und unbeugsamen Willen und Geist und einem harten Kinn.
Letztlich ist Nummer Sechs vom omnipotenten Gesichtspunkt aus das
Publikum in der Erfüllung der zeitgemäßen Heldenrolle.
Dass John Drake nicht Nummer Sechs ist, hat McGoohan selbst mehrfach
betont. Dafür gibt ein paar praktische wirtschaftliche Gründe.
Denn wenn Nummer Sechs John Drake wäre, hätte man Ralph
Smart, dem Autor und Produzenten von DANGER MAN, Tantiemen zahlen
müssen.
Warum
hat Nummer Sechs sich vom Dienst zurückgezogen?
Mit beängstigender Regelmäßigkeit kommt und geht
eine neue Nummer Zwei und versucht vergebens, diese Frage zu beantworten.
Warum interessiert sie das überhaupt? Über die ganze Serie
hinweg gibt Nummer Sechs einige dünne oder unscheinbare Antworten
darauf, und warum? Was ist dabei, Nummer Zwei zu sagen, dass man
den Job hingeworfen hat, weil man kein Geheimagent mehr sein wollte?
Man ist versucht, sich noch mehr und bessere Fragen für einen
Agenten von der Statur eines Nummer Sechs' auszudenken. Aber diese
ganze "Rücktrittsfrage" führt einen zu George
Markstein zurück, der die Ursprungsidee der Serie und der ersten
Folge entwickelt hat, und in die Akten einging, er habe sich in
die Hosen gemacht, dass McGoohan von DANGER MAN zurückgetreten
sei und so die meisten seiner Mitarbeiter um ihren Job brachte.
In "Die Ankunft" wird behauptet, die Vorgesetzten von
Nummer Zwei erachteten Nummer Sechs' Wissen als sehr wertvoll, und
man argwöhnt schließlich, dass sie Nummer Sechs ebenso
gut töten wie zum Reden bringen würden. Und selbst wenn
er reden würde, wäre er dazu verdammt, den Rest seiner
Tage im Ort zu bleiben.
Wo
ist der Ort?
Noch einmal: Wen interessiert das? Schon wahr, Nummer Sechs droht
damit, zu fliehen, zurückzukehren und die Blase in die Luft
zu jagen. In "Demaskierung" schließlich zerstört
er den Ort ja auch. Ist der Ort irgend etwas mehr,
was er symbolisiert - das "äußerliche und sichtbare
Zeichen" für das innere Unheil einer repressiven Gesellschaft?
Der Dualismus der Serie setzt das Altmodische und visuell Aufregende
des Ortes in den Außenaufnahmen hübsch gegen die
futuristischen Technologiekäfige der Innenaufnahmen mit Nummer
Zwei und seiner/ihrer Entourage. McGoohan tut ungeschickterweise
noch mehr dazu, alles im Trüben zu belassen: die wahre Lage
des Ortes wird in drei Episoden thematisiert. In jeder findet
er sich ganz woanders. Schlechtes Drehbuch oder die Absicht, mehr
Durcheinander zu erzeugen?
Wer
kontrolliert den Ort?
Diese Frage wird von Nummer Sechs immer wieder gestellt, aber nie
offen beantwortet, was für eine Menge Diskussionsstoff sorgte:
Kapitalisten oder Kommunisten? Aus heutiger Sicht scheint der Ort
völlig eindeutig kulturell eine britische Erfindung zu sein,
und Nummer Sechs' Peiniger sind seine Ex-Arbeitgeber.
Was
ist mit der Episodenreihenfolge?
Einfach völlig töricht. Niemand kennt die genaue Reihenfolge,
in der man die 17 Folgen sehen sollte. Die Episoden 1, 16 und 17
sind ohne Zweifel so korrekt in der Abfolge, aber alles andere bleibt
diffus. In "Free For All" und "Die Anklage"
gibt es Reden, die auf einen frühen Zeitpunkt schließen
lassen, danach kann man nur raten. Warum? Weil die Produktion sehr
unter Zeitdruck stand und man die Episoden so sendete, wie sie fertig
und nicht etwa geschrieben wurden. Auf dieser A&E-Box gibt es
tatsächlich einen Hinweis mit dem Titel "Diskussion über
die Reihenfolge" unter jeder Episodenbeschreibung. Hier wird
versucht darzulegen, warum diese spezielle Episode gerade an dieser
Stelle kommt. Die von McGoohan so bezeichneten sieben Kernepsioden,
die "wirklich zählen", sind (nach seiner Reihenfolge):
"Die Ankunft", "Free For All", "Die Anklage",
"Schachmatt", "Die Glocken von Big Ben", "Pas
de deux" und "Demaskierung".
Die
Orson-Welles-macht-Kafka-Connection.
Man muss kein Kenner der Literatur des 20. Jahrhunderts sein, um
an Querverbindungen zwischen THE PRISONER und Franz Kafka zu denken.
Jede Geschichte, die mit Entfremdung und der Undurchschaubarkeit
des bürokratischen Staates zu tun hat, ist letzten Endes eine
Hommage an den Großen Nicht-Meister selbst. Hier, in diesem
Fall, ist die Verbindung eher indirekt. So gibt es zwischen THE
PRISONER und Orson Welles' Filmversion von Der Prozess mit Anthony
Perkins zahlreiche visuelle Parallelen. Man sagt, McGoohan halte
sehr viel von Welles. Aber dennoch führt jede Frage nach einem
direkten Einfluss zu endlosen Spekulationen, die THE PRISONER nach
wie vor wie ein intellektueller Nebel umgeben. Oder wie von Kafka.
Die
üblichen DVD-Bonusfeatures.
Das 10er-DVD-Set von A&E enhält ein paar Perlen, es hätten
aber mehr sein können. Zu den 17 Episoden gehören:
- Bemerkungen zur Produktion (interessant)
- Hinter-den-Kulissen-Interviews mit dem Production Manager der
Serie, Bernie Williams (interessant)
- Ultra-rare Originalaufnahmen von den Drehbarbeiten in Portmeirion
1966, mit Kommentaren von Williams (auch interessant)
- Bonus: "The Prisoner Video Companion" (nicht besonders
interessant)
- Die seltene alternative Version der Episode "Die Glocken
von Big Ben" (mit nicht-wesentlichen Änderungen)
- Selten zu sehende ausländische Registratur-Szenen des Vorspanns
(gähn)
- Selten zu sehender Vor- und Abspann ohne Text (gähn)
- Original Fernseh-Trailer (60er Hype)
- Ansammlung von original Produktions- und Promotion-Material (cool)
- Galerie mit Produktionsstandbildern (cool)
- Interaktive Karte des Ortes (gähn)
- PRISONER-Trivia (interesant)
Alles
gut und schön, aber man hätte gern einen Voice-over-Kommentar
von McGoohan über der letzten Episode "Demaskierung"
gehabt. Darin hätte er vielleicht einige Einsichten und Erklärungen
geben können hinsichtlich der vagen surrealen Aspekte dieses
doch sehr unordentlichen Serienabschlusses. Vielleicht aber würde
eine dezidierte "Erklärung" des Ganzen den Spaß
an den eigenen Schlussfolgerungen verderben. Oder aber, vielleicht
gibt es überhaupt keine Erklärung!
Es
bedeutet, was es ist.
Was macht THE PRISONER so besonders? Wahrscheinlich ist es, ironischerweise,
gerade seine Komplexität und Konfusion - genau die selben Dinge,
die ihn für sein ursprüngliches und darauf folgendes Publikum
unverständlich und damit unpopulär machten. Ohne Zweifel
bezieht THE PRISONER seinen fortdauernden intellektuellen Charme
aus dem Produktionschaos, der unhinterfragten Subjektivität
von McGoohans künstlerischer Vision, der ungerichteten Vereinnahmung
verschiedener philosophischer Konzepte sowie aus der Art und Weise,
wie die Serie sich allzu einfacher Einordnung entzieht. Der Verdacht
beschleicht einen, dass THE PRISONER, wenn alles professionell geplant
und durchgeführt worden wäre und George Markstein, wie
anfänglich geplant, seinen "realitätsbezogenen"
Kurs hätte durchhalten können, wohl nur eine weitere gut
gemachte, ganz interessante, aber konturlose gewöhnliche Serie
- wie DANGER MAN - geworden wäre.
Die
Frage schließlich, worum es in THE PRISONER geht, hat nichts
damit zu tun, worum es geht. Es muss keinen besonderen Sinn ergeben,
es muss nichts Spezielles bedeuten. Was lernen wir bei der kunsthandwerklichen
Ausstellung in "Die Glocken von Big Ben":
Ein
Jurymitglied: "Wir sind uns nicht sicher, was es bedeutet."
Nummer Sechs: "Es bedeutet, was es ist."
Ganz
genau. Im größten aller Bilder gibt es wahrscheinlich
nur zwei Punkte zu betonen: Der Gefangene ist ein Gefangener seiner
eigenen Entstehung. Und ein Gefangener bleibt er, weil wir alle
Gut und Böse in uns haben, Gefangener und Wärter. Erinnert
Sie an Ich, Über-Ich und Es?
Sich
selbst einkerkern.
Verworren oder nicht, in seinen besten Momenten hat THE PRISONER
ausgezeichnete Stories zu bieten, gut geschrieben, gut gefilmt,
mit ordentlicher Regiearbeit und Montage und, ja, guter Schauspielerei.
Ähnlich wie 1984 strotzt die Serie vor Ideen von repressiver
Gemeinschaftlichkeit: "Fragen belasten die anderen, Antworten
machen einen unfrei" und "Ein stille Zunge für ein
glückliches Leben" (Anm.d.Ü.: in der deutschen Fernsehfassung:
"Wer schweigt hat ein glückliches Leben"). Nur zwei
offensichtliche Beispiele.
Herausragende
Episoden sind "Die Glocken von Big Ben" mit einem brillianten
Plot; "The Schizoid Man" wiederrum sehr originell; "Herzlichen
Glückwunsch" mit dem dialogfreien Anfang; "A, B und
C" mit dem vermutlich besten Schluss aller 17 Episoden; und
"Die Ankunft", die auf schaurige Weise die Grundlagen
legt und die Figuren einführt.
"Ich
nehme an, THE PRISONER gehört zu den Dingen, von denen tausend
Menschen tausend verschiedene Interpretationen haben, was, glaube
ich, etwas sehr Erfreuliches ist. Ich bin froh, dass es so war.
Denn das war die Absicht." - Patrick McGoohan
Glückwunsch,
Patrick. Ihre Absicht war erfolgreich. Und zweifellos besser, als
Sie es sich jemals vorgestellt haben. Schließlich hat es Ihre
Serie sogar bis in DIE SIMPSONS geschafft.
Rick
McGrath (2001)
*)
Hier irrt der autor, wenn es auch schön gewesen wäre.
Denn THE PRISONER - NUMMER 6 kam 1967 und damit vor 2001 ins fernsehen,
wenn auch in verschiedenen ländern und regionen zu unterschiedlichen
zeiten. Die US-premiere von 2001 - ODYSSEE IM WELTRAUM, Regie: Stanley
Kubrick, war anfang April 1968.
Der
originaltext dieser mehr als DVD-besprechung ist
auf Rick McGraths homepage Culturecourt zu finden.
Veröffentlichung mit freundlicher genehmigung des autors. |